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Martina Ehrlich

Ab sofort erscheint auf unserer Homepage immer freitags ein neuer Blog-Beitrag zu den unterschiedlichsten Regionen und Themen rund um Lateinamerika. Martina berichtet Aktuelles, Informatives, Skurriles und Spannendes vom Kontinent des Kolibris, erzählt Geschichten vom Reisen bis hin zu praktischen Tipps für die Vorbereitung Ihrer eigenen Reise.

Vom Kontinent des Kolibris 44 – die Siedler aus Europa in Patagonien…

Zwischen 1800 und 1816 erkämpfte sich Argentinien in etlichen Auseinandersetzungen schließlich seine Unabhängigkeit von Spanien. Das gesamte 19. Jahrhundert hindurch war das Land weiterhin durch Bürgerkriege und innere Unruhen zerrissen. Es entstand dabei eine heftige Gegnerschaft zwischen den Vertretern der mächtigsten Familien von Buenos Aires, die eine Europäisierung im Stile der Aufklärung und des Liberalismus anstrebten und den sogenannten “Caudillos” – den Anführern in den weiten Landesteilen des Landesinneren, die ihre lokale Machtposition stärken wollten.

Die Familien in Buenos Aires schöpften ihren Reichtum aus ihrem Grundbesitz, den sie immer mehr zu vergrößern suchten – auch mit Hilfe des Militärs. Um sich endgültig der Jagdgebiete der unendlich erscheinenden Steppenlandschaften im Hinterland zu bemächtigen, wurde im Jahre 1879 der so genannte „Wüstenfeldzug“ – „Campaña del Desierto“ – von dem entschlossenen und unerbittlichen General Roca angeführt, der insgesamt fünf Jahre andauerte. Die Urbevölkerung ganz Argentiniens wurde dabei nahezu vollständig ausgerottet. Mit dem Militär drangen auch die Missionare als Militärseelsorger immer weiter ins Hinterland des bis dahin noch fast gänzlich unerschlossenen, weiten Gebietes vor. Entsetzt von den Zielen des Wüstenfeldzuges – nämlich der totalen Auslöschung der indigenen Bevölkerung – versuchten sie die unglücklichen Gefangenen vor den gröbsten Misshandlungen der Militärs zu bewahren. In die Geschichte eingegangen sind hierbei die Salesianer Giuseppe (José) Fagnano, Giuseppe Beauvoir und Giacomo Costamagna. Als sie im Jahre 1887 ihre Missionstätigkeit in Patagonien und Feuerland aufnahmen, war ihnen die bereits ausweglose Situation der Urbevölkerung bewusst…

Die Besiedlung Patagoniens begann so um 1880, davor war das Land ausschließlich von Eingeborenen sowie von Seeleuten und Piraten entlang der Küsten bewohnt. Die Siedler ließen sich im argentinischen Teil Patagoniens weit ab von der Küste ganz im Westen in Andennähe nieder, weil ihnen dort Wälder, Wasser und Weiden für die Schafzucht zur Verfügung standen. Es wird berichtet, dass sie sich einmal im Jahr mit ihren Ochsenkarren die etwa 400 Kilometer auf den kaum erkennbaren Wegen, die sie selbst angelegt hatten, bis an die Atlantikküste durchkämpften. Dort verkauften sie ihre Schafwolle und kauften das Wenige ein, das sie in ihrer fast autarken Abgeschiedenheit nicht selbst herstellen konnten.

Unter diesen Pionieren gab es die verschiedensten Menschen: da waren Abenteurer, Matrosen, ehemalige Sträflinge aus dem Knast von Ushuaia, Reisende, die bleiben wollten, Bauern ohne Landbesitz aus dem argentinischen oder chilenischen Norden, Überlebende aus den Seeschlachten, die während des Ersten Weltkrieges in den Kanälen Feuerlands zwischen Engländern und Deutschen tobten sowie auch Jugoslawen aus Punta Arenas. In den Süden Patagoniens kamen auch etliche Siedler von den Falklandinseln, weil der Gouverneur von Santa Cruz ihnen kostenloses Land in dem völlig unerschlossenen Gebiet zusprach. Andere kamen aus Punta Arenas oder Puerto Natales in Chile.

Riesige Estancias entstanden und Tausende Tonnen Wolle wurden über die südlichen Häfen am Atlantik – San Julian, Puerto Deseado und Rio Gallegos – zu den Webstühlen nach England verschifft. Da es anfangs keine argentinischen Zölle gab, wurden umgekehrt auch alle Arten von Waren nach Patagonien eingeführt. Zur Hochzeit der Schafzucht in Patagonien lebten dort um die 80 Millionen Schafe und Argentinien war einer der Hauptlieferanten für Wolle in der Welt.

Durch die Verteilung der riesigen Ländereien an nur wenige Familien befanden sich um 1920 in der südlichen argentinischen Provinz Santa Cruz mehr als 20 Millionen Hektar Land im Besitz von nur 619 Privatpersonen und Farmgesellschaften. Allein der Schafbaron Mauricio Braun und seine Schwester Sara Braun sollen 1.375 Millionen Hektar Land bewirtschaftet haben. Die Arbeiter auf den großen Ländereien erhielten oftmals kargen Lohn in Form von Gutscheinen, die sie meist nur in Geschäften ihres „Patrons“ – dem Landbesitzer – zu Wucherpreisen gegen Lebensmittel, Kleidung und Alkohol einlösen konnten. Dies führte dazu, dass viele Arbeiter sich verschuldeten und in totale Abhängigkeit gerieten. Der Niedergang der Wollpreise auf dem Weltmarkt 1919 hatte zudem drastische Lohnkürzungen zur Folge, wodurch die Spannungen zwischen den Schafzüchtern und deren Landarbeitern verschärft wurden. Dies wiederum hatte 1920 einen handgreiflichen Arbeiteraufstand zur Folge. Die Armee aus Buenos Aires wurde gerufen, woraufhin es in der Gegend von El Calafate um die 1.500 Tote gab. Allein auf der „Estancia Anita“ des Großgrundbesitzes des „Menendez-Clans“ wurden ca. 120 Arbeiter erschossen.

Zwischen 1930 und 1970 boomte das Geschäft mit der Schafwolle, doch später sank der Preis auf etwa 0,75 Euro pro kg. 1970 brach zudem der Vulkan Cerro Hudson aus, wonach viele Estancias aufgegeben werden mussten. In der Folge suchten die, die ihre Estancia noch halten konnten, nach neuen Einnahmequellen und fanden diese meist in irgendeiner Form mit touristischen Angeboten wie Ausflügen (Reiten, Fischen, Bootstouren, Wandern) und Übernachtungen mit typischem Essen usw. Andere Estancias mit großen Ländereien wurden von ausländischen Unternehmern aufgekauft, darunter z.B. die Modeproduzenten Benetton.

Und was ist mit dem Mythos des typischen „Gauchos“ in den Weiten Patagoniens? Gibt es diese Freiheit liebenden Arbeiter überhaupt noch? – So gesehen eigentlich nicht mehr. Meist sind die Arbeiter nun fest auf den Farmen angestellt. Wenn Ihnen bei einer Reise durch Patagonien „Gauchos“ (in Argentinien) oder „Huasos“ (in Chile) begegnen, erinnert Sie ihr Aussehen gewiss dennoch an ein Leben mit wenig Konventionen in einer unbeschreiblich weiten, freien Landschaft.

Gauchos reiten das ganze Jahr über die Weiden, kontrollieren Zäune und sehen nach den verstreuten Schafen. Wenn ein Tier durch eine Puma- oder Fuchsattacke zu Tode gekommen ist, zieht man dem Schaf das Fell ab und hängt es zum Trocknen über den nächsten Zaun. Im Winter können die Schafe auf einem Hügel abrutschen oder unter einer neuen Schneedecke ersticken. Der Gaucho kontrolliert außerdem seine Fallen, in denen er Füchse fängt, um anschließend das Fell gegen Waren einzutauschen. Regelmäßig kommen fahrende hausierende Gemischtwarenhändler an den Estancias vorbei, wo die Gauchos ihren bescheidenen Luxus erwerben. Dazu gehört ihre Kleidung, Stiefel, Seife, Kamm, Tabak und der nicht wegzudenkende Mate.

Pferde und Hunde sind für die Arbeit der Gauchos unersetzlich. Direkt am Haus besitzt der Gaucho nur ein Pferd, welches er sattelt, um die anderen freilaufenden Pferde bei Bedarf einzufangen. Die Hunde kommen zum Einsatz, wenn eine Schafherde zu einem bestimmten Platz getrieben werden muss. Wegen der riesigen Entfernungen leben Gauchos oft alleine auf Außenposten der Estancias und gehen nur von Zeit zu Zeit zum Hauptgebäude, um wieder ihren Proviant aufzufüllen.

„Patagonier“, die das ganze Jahr über in Patagonien leben und nicht nur zur Sommersaison herkommen, sind meist besondere Charaktere. Sie stellen sich den Unbilden des Klimas, der Einsamkeit und der oft auch heute noch harten Arbeit.

Heute möchte ich Ihnen zum Schluss wieder ein Buch empfehlen – eigentlich ein Klassiker, wenn es darum geht, sich mit den Pionieren und ihrer Nachfahren in Patagonien zu beschäftigen: „In Patagonien: Reise in ein fernes Land“ von Bruce Chatwin

Viel Spaß bei der Lektüre und bis nächsten Freitag

Martina Ehrlich

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