Heute greife ich mal wieder in meine Traveller-Kiste und berichte davon, was ich in meinem Reisetagebuch für frische Eindrücke festgehalten habe. Mexiko war mein erstes lateinamerikanisches Land, das ich bereiste. Heute geht es mir manchmal so, dass mir bestimmte Situationen oder Umstände schon so vertraut sind, dass sie mir gar nicht mehr als außergewöhnlich ins Auge fallen. Erst wenn mich Mitreisende darauf ansprechen, fällt mir der Unterschied zu unseren Gewohnheiten in Deutschland auf. Aber genau das macht ja den Reiz des Reisens aus – das Andere, das Fremde, das Verwirrende, das Abschreckende, das Verzaubernde und das Unvergessliche. Meine Notizen…
„Im Hochland des Bundesstaates Chiapas leben um San Cristobal de las Casas rund 200.000 indigene Menschen. Sie gehören den Stämmen der Tzotzilen und Tzelalen an und sprechen auch heute noch Maya-Dialekte. Ihre kulturellen Traditionen konnten diese beiden unbeugsamen Völker bewahren und sich vom restlichen Mexiko distanzieren. In über 2.000 Metern Höhe leben in rauer Berggegend die Familien seit Generationen in einfachsten Holz- oder Tonhütten meist ohne Stromanschluss und fließendes Wasser. Der Stamm als Ganzes lebt nicht zusammen, stundenlange Fußmärsche auf Bergpfaden führen zu den ums zentrale Dorf weit verstreut liegenden Behausungen. Neben der Achtung des katholischen Glaubens werden ebenso die „alten Götter“ verehrt. Die Dorfbewohner opfern ihnen Lebensmittel, Weihrauch und Blumen. Wichtigste Anbaupflanze und Hauptnahrungsmittel ist der Mais. Alle anfallenden Tätigkeiten werden in mühevoller, harter Handarbeit ausgeführt. So schleppen Erwachsene als auch Kinder über weite Strecken das Feuerholz an einem Stirngurt nach Hause, es werden schwere Wassereimer auf dem Kopf balanciert. Selbst bei zapfiger Kälte gehen Frauen immer und überall barfuß, die dicken Hornhäute und Schwielen sprechen für sich.
Aus der grünen Umgebung leuchten die farbenprächtigen Trachten, ein optisches Zeichen der jeweiligen Stammeszugehörigkeit. Die Menschen sehen sehr schön aus mit ihrer dunklen Haut und dem pechschwarzen Haar, welches sich die Frauen mit bunten Bändern zu langen Zöpfen flechten. Kinder werden von Geburt an in den Alltag der Eltern integriert, sei es bei der Arbeit oder beim Verkauf des Web- und Knüpfhandwerks auf dem Markt. Die Kleinsten werden von den Müttern im Schultertuch getragen und überall ohne Scham gestillt. Diese Gegend scheint vom Fortschritt vergessen zu sein. Wenn ich mir ein solches Leben für mich auch nicht vorstellen kann, so wirkt es doch harmonisch, natürlich, familiär. Es ist eine Lebensweise, die ganz andere Schwerpunkte und Werte setzt.
Für uns Europäer schenken die farbenfrohen, lebendigen Märkte einem Land wie Mexiko das besondere Flair. Doch hinter den bunten Kleidern versteckt sich oft bittere Armut, Indigene bilden die unterste soziale Bevölkerungsschicht. Ganz im Gegensatz zur Bergidylle um San Cristobal wuchern um viele Städte elende Slumviertel. Das Armenhaus besteht aus Wellblech, Pappkarton, Plastikfolie, vielleicht noch ein paar Holzlatten. Für die meist kinderreichen Familien führt eine Abwanderung in die Städte meist zu großem Leid, teilweise sogar zum Kampf ums Überleben. Es ist bedrückend, die vielen Hände der auf dem Boden Kauernden zu sehen – ich fühle mich ratlos und wütend im Angesicht der Ungerechtigkeit der Welt und meines eigenen Glücks in der Geburtslotterie. Eine solche Situation muss ja regelreicht zu innerer Gewalt und illegalem Handeln führen, denn auch in Mexiko leben zweifelsohne viele Menschen gut bis sehr gut.
Wenn ich allgemein an Mexiko denke, verknüpfe ich damit auch die bestens erhaltenen Ausgrabungsstätten der alten Völker. Die bekanntesten Kulturen Mesoamerikas dürften wohl die der Maya und Azteken sein, doch gab es außer ihnen eine noch Vielzahl anderer hochstehender Stämme. Heute gilt als erwiesen, dass die Urvölker Mexikos eine völlig eigenständige Entwicklung erlebten. Das erste in dieser lngen Kette war das der mysteriösen Olmeken, die schon ca. 1.100 Jahre vor Christus den Pyramidenbau ausgeübt haben. In voller Blüte stand die Kultur der Azteken, als 1519 nach Christus die Spanien in Mexiko eindrangen, gewaltsam die Herrschaft an sich rissen und damit den Schlusspunkt an deren Entwicklung setzten. Zweifellos geben die zu bestaunenden, prachtvollen Tempelanlagen heute Zeugnis darüber, dass es sich bei den Mayas um eines der bedeutendsten Völker handelte. Ihre ehemaligen Städte befanden sich hauptsächlich auf Mexikos Halbinsel Yucatán, erstreckten sich einst bis ins heutige Guatemala sowie Honduras. Bekannte Namen sind Palenque, Uxmal, Chichén Itzá, Tulum, Tikal und andere.
Überall in der Welt übt die Maya-Kultur große Faszination aus. Steht man vor den meist reich verzierten Pyramiden, Tempeln, Ballspielplätzen und Grabstätten, wird deutlich, dass hier hervorragende Architekten, Künstler, Mathematiker sowie Astrologen am Werk waren. Nicht nur die majestätische Bauweise ist beeindruckend, viele Bauwerke sind auch mit unglaublicher Exaktheit auf Gestirne oder auf bestimmte Licht- und Schattenbilder ausgerichtet. In keiner anderen Kultur wurde so exakt die Zeit gemessen. Eine Bilderschrift von rund 4.000 verschiedenen Zeichen hielt Geschehnisse fest. Aus ihnen ist auch zu ersehen, dass Selbstverstümmelung sowie Menschenopfer für die Götter üblich waren. Um etwa 900 nach Christus verließen die Maya aus ungeklärten Gründen ihre Städte. Übriggeblieben sind die erhabenen Zeugen dieser großen Kultur. In Mexiko und Guatemala leben heute noch um die drei Millionen Nachkommen der Maya.“
Wie sehr wünscht man sich im Angesicht dieser fantastischen steinernen Zeugen im Hinblick auf die Jetztzeit, dass den Nachfahren der alten Völker – den Indigenen – ein Leben in Würde, mit festgeschriebenen Rechten und Gesetzen sowie mit Respekt zuteil wird.
Alles Gute für Sie und bis nächste Woche
Ihre Martina Ehrlich