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Martina Ehrlich

Ab sofort erscheint auf unserer Homepage immer freitags ein neuer Blog-Beitrag zu den unterschiedlichsten Regionen und Themen rund um Lateinamerika. Martina berichtet Aktuelles, Informatives, Skurriles und Spannendes vom Kontinent des Kolibris, erzählt Geschichten vom Reisen bis hin zu praktischen Tipps für die Vorbereitung Ihrer eigenen Reise.

Vom Kontinent des Kolibris 80 – Klassik im Dschungel

Der kleine Ort Urubichá liegt gut 300 Kilometer Wegstrecke nördlich von Santa Cruz im östlichen Tiefland Boliviens auf nur 220 Metern über dem Meeresspiegel. Ein paar tausend Einwohner leben hier am Ufer des Flusses Río Blanco, der weiter flussabwärts in den Río Iténez und Rio Guaporé mündet. Dieser wiederum bildet über weite Strecken die Grenzlinie in den Tropen zwischen Brasilien und Nordostbolivien.

Etwa 25 Grad Celsius ist die Durchschnittstemperatur der Region, die im Jahresverlauf nur sehr wenig variiert. Regen fällt jährlich um die 1.150 Millimeter – eben eine richtige Tropenregion. Der Anteil indigener Bevölkerung in Urubichá ist groß, gut 90 Prozent der Menschen sprechen das regionale Chiquitano. Wer würde hier in diesem abgelegenen einfachen Ort klassische Musik vermuten?

Es ist mehr als 300 Jahre her, als jesuitische Missionare in diese Region des bolivianischen Regenwalds kamen, um dort in den Siedlungen ihre schmucken Kirchen zu errichten und die indigene Bevölkerung zu christianisieren. In diesem Zuge brachten sie den Einheimischen auch die damals populäre barocke Musik näher. 1767 mussten alle Jesuitenpriester auf Geheiß des Kaisers die aufgebauten Missionsstationen und auch den Kontinent Lateinamerika komplett verlassen. Bis heute geblieben sind kleine Jesuitenkirchen in abgelegensten Orten – und in Urubichá bei den Guarayos ein erfolgreiches Dschungel-Orchester. – Wie kam das?

Etwa zwei Jahrhunderte nach den Jesuiten kam der deutsche Franziskaner Walter Neuwirth nach Urubichá und führte dort die unter den Jesuiten begonnene musikalische Entwicklung der Bewohner des Ortes fort. Zusätzlich setzte er sich für eine Verbesserung der Lebensbedingungen und für die Bildung der jungen Menschen ein. Schulen und Werkstätten für den Instrumentenbau wurden errichtet, Unterricht in klassischer Musik führte junge Menschen bereits früh an ihre Instrumente heran und entfachte eine regelrechte Leidenschaft.

Viele Barocklieder wurden mündlich von einer Generation zur nächsten und von einer Familie zur anderen überliefert. Die alten Orchesterfassungen und Chorwerke der Jesuiten jedoch galten über Jahrhunderte als verschollen. In den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts suchte der römisch-katholische, aus Polen stammende Priester Nawrot nach alten, noch erhaltenen Musiknoten. Überall in der Region sprach er mit den Dorfältesten und fragte nach alten Manuskripten. In Moxos fand er schließlich Tausende alter Manuskriptseite – von Konzerten für Soloinstrumente ebenso wie von Barockopern. Ein paar der Werke waren sogar mit „maestro capilla“ unterzeichnet, wie dies nur Komponisten wie zum Beispiel Johann Sebastian Bach einst taten. Alle diese Noten hatten versteckt überlebt wie in einer Art „Zeitkapsel“. Darunter fand man bekannte Werke ebenso wie völlig unbekannte, wohl in Bolivien geschriebene Stücke, die heute unter dem Namen „Missionsbarock“ bekannt sind. Als besonders bemerkenswert gilt ein Fund des Werks von Zipoli, denn man glaubte es in Europa als komplett verloren gegangen, und fand es nun in Ostbolivien wieder. Diese vor dem Verfall gerettete Original-Partitur aus dem 18. Jahrhundert wird aktuell im Dorfarchiv von Concepción aufbewahrt.

Heute gibt es in Urubichá Geigenbauer, eine angesehene Musikschule mit mehreren hundert Musikschülern sowie ein eigenes Jugendorchester, das sogenannte „Instituto de Formación de Coro y Orquesta de Urubichá“. Das Alltagsleben ist nach wie vor beschaulich und einfach. Es gibt nur wenige Autos, die Einwohner leben in Lehmhäusern ohne Strom und Wasser, bestellen ein Stück Land oder produzieren Kunsthandwerk. Jedes vierte Kind musiziert oder ist im örtlichen Chor. Mittags nach der Schule schlendern die Jungs und Mädchen mit ihren Instrumentenkästen auf dem Rücken durch die Straßen und über den Dorfplatz zur Musikschule.

In den Werkstätten entstehen Cellos, Lauten, Bratschen und Geigen aus einheimischem Zedern- und Mahagoni-Holz, denn dies sind die einzigen Holzarten, denen die Tropenhitze nichts anhaben kann. Dieses Jugendorchester ist im Laufe der Jahre bis weit über die Grenzen hinweg berühmt geworden und trat bei Festivals in Bolivien, Peru, Chile, Argentinien, Venezuela und sogar schon bei Konzerttourneen in Deutschland auf. Dies bedeutet, dass Kinder und Jugendliche aus den einfachsten Verhältnissen auf „Reisen ihres Lebens“ gehen, manche von ihnen Ständchen vor dem Papst oder vor dem spanischen König geben – und damit einen Traum wahr werden lassen können.

Musik des „Missionsbarock“ ist fröhlicher als Klassik aus derselben Zeit in Europa. Und sie hat sich mittlerweile so viele Freunde gemacht, dass sich ein alle zwei Jahre in den ehemaligen jesuitischen Missionskirchen stattfindendes Barockmusikfestival etabliert hat und Musikfreunde aus aller Welt anzieht.

Irgendwie gibt es doch noch ab und zu kleine und große Wunder, oder? Das von Urubichá erscheint mir jedenfalls wie eines…

Herzliche Grüße

Martina Ehrlich

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