Zum Jahreswechsel möchte ich Positives und Mut verbreiten. Und das ist in Bolivien vor allem mit dem Selbstbewusstsein sportbegeisterter indigener Frauen möglich…
Haben Sie schon mal den Ausdruck „Chola“ oder „Cholita“ gehört? Im Grunde war dieser Begriff über lange Zeit negativ und abwertend besetzt, denn er bezeichnete im allgemeinen Sprachgebrauch bolivianische Frauen mit indigenen Wurzeln, mit geringer Bildung, in Armut und eher rückständig lebend. In La Paz trifft man im städtischen Raum allerorten Cholas – sei es als Fußgängerinnen bei Besorgungen, an Verkaufsständen als Verkäuferinnen, in Kleinbussen als Mitfahrerinnen usw. Sie sind aus dem Bild der bolivianischen Anden nicht wegzudenken und fallen durch ihre Erscheinung sofort auf. Die Cholas tragen mehrere weite Glockenröcke in verschiedenen Farben übereinander und dazu meist flache Lack-Ballerinas. Als Oberteil dienen Blusen, Pullover, Westen –und irgendwo darunter haben sie ihr Geld in einem Beutel verborgen. Meist haben sie um die Schultern ein buntes Tragetuch geschwungen, in dem sie ihre Einkäufe oder auch ein kleines Kind bei sich tragen. Ihre schwarzen Haare tragen sie lang und zu zwei Zöpfen geflochten, die wiederum durch ein Wollband miteinander verbunden sind, damit sie nicht immer nach vorne fallen. Markant und unverwechselbar sind die Hüte der Cholas – in La Paz ist es der typische Bolero, der irgendwie viel zu klein aussieht und wo man sich wundert, wie er überhaupt auf dem Kopf hält.
Seit etwa 20 Jahren tun sich immer wieder neue Frauengruppen von Cholas zusammen, um miteinander Sport zu machen und dabei selbstbewusst und kraftvoll in der Öffentlichkeit aufzutreten. Sie spielen Fußball, Klettern, Skaten und praktizieren Wrestling – und das ganz bewusst in ihrer Tracht! Mittlerweile haben sie verstärkte Aufmerksamkeit erfahren, immer wieder gibt es Dokumentationen und Berichte über diese weibliche sportliche Kraft.
Entstanden ist der Frauensport der Cholas allerdings durch die Alltagsunterdrückung der Männer – Väter, Brüder und Ehemänner, die nicht selten handgreiflich gewaltsam vonstattenging. Die Frauen wollten sich stärken und wehren können, nicht mehr als Menschen zweiter Klasse in der Gesellschaft angesehen werden.
So haben sich 2017 oberhalb von La Paz in El Alto auf 4.150 Metern Höhe sieben Frauen zusammengetan und den bis dahin männerdominierten Sport für sich zugänglich gemacht, indem sie den ersten Frauen-Fußballclub gegründet haben. Der “Club Deportivo Mayas Fem” ließ auch umgehend eigene Fußballtrainerinnen ausbilden. Es war für die Frauen nicht einfach, sich zu etablieren, da man ihnen oft Trainingsmöglichkeiten verwehrte, aber sie gaben nicht auf. Mittlerweile gibt es fünf Untergruppen des Clubs für jedes Alter in verschiedenen Vierteln von El Alto. Jede ist willkommen, egal ob Hausfrau, Mutter, Schülerin. Die „Mayas“, wie die Spielerinnen des Clubs genannt werden, haben den Wunsch nach einem eigenen Spielfeld sowie mehr Respekt und Unterstützung für den Frauenfußball. Und sie hoffen, dass sie durch ihre zunehmende Bekanntheit auf männliche Dominanz und Gewalt sowie sexuelle Belästigung in Bolivien aufmerksam machen können. Manche der „Mayas“ haben es tatsächlich schon in den Profisport geschafft.
Das heute fast schon berühmte Wrestling der Cholas hat seinen Ursprung darin, dass sich einige Frauen vor etwa 20 Jahren zusammentaten, um Ringen zu lernen. Sie waren immer wieder Opfer häuslicher Gewalt geworden und wollten sich besser gegen Männer wehren können. Im gemeinsamen Training kämpften sie gegeneinander und merkten dabei, wie viel Spaß sie miteinander entwickelten. Das Selbstbewusstsein wuchs mit der körperlichen Fitness und der Kraft der Gemeinschaft unter den Frauen. Sie spürten, wie sie durch die Wrestling-Kämpfe in ihren Chola-Trachten ihre Identität und Tradition stark in die Gesellschaft tragen konnten.
Ihr Wrestling entwickelte sich schließlich zu einer „Kampfsport-Show“, bei der meist schon von Beginn an feststeht, wer die Siegerin ist. Die Chola-Kämpferinnen haben trotz des vollen Körpereinsatzes und mancher Prellung im Kampf jede Menge Spaß miteinander. Wrestling ist unter den Cholas modern geworden – aktuell erlernen knapp 50 junge Frauen an Wrestling-Schulen diesen Kampfsport. Die „Kampfsport-Shows“ sind bei TouristInnen beliebt, die starken Cholas werden angefeuert und es herrscht eine ausgelassene Stimmung. Manch eine Chola kann sich mit den Vorführungen finanziell über Wasser halten.
Auch das Bergsteigen war in Bolivien traditionell Männersache. Obwohl Frauen als Köchinnen oder Trägerinnen ebenfalls oft bei mehrtägigen Exkursionen dabei waren, galten sie nur als Hilfskräfte und konnten den eigentlichen Gipfel nicht mit den anderen erklimmen. Dann gründeten sie ihre Gruppe der „Cholitas Escaladoras“ und begannen eigenständige Bergexkursionen – wohlgemerkt auch hier in ihrer Tracht. Die bis zu zehn übereinander getragenen Wollröcke dienen in diesem Fall sehr praktisch als wärmendes Kleidungsstück in den eisigen Höhen. Die „Kletternden Cholas“ bezwangen sogar schon den 6.961 Meter hohen Aconcagua – den höchsten Berg der westlichen Hemisphäre. Über sie gibt es bereits einen sagenhaften Dokumentarfilm.
Rund um die bolivianische Stadt Cochabamba hat sich die modernste Chola-Gruppe als Skaterinnen zusammengetan. Im Alltag tragen diese Frauen ihre gewöhnliche Kleidung, schlüpfen jedoch beim Skaten in ihre traditionelle Tracht und zeigen stolz, wo sie herkommen und wer sie sind.
Diese besondere Art der „Frauenbewegung“ ist inspirierend. Sie verleugnet keine Traditionen und keine ethnische Herkunft – im Gegenteil, sie nimmt diese bewusst mit auf und zeigt, wie stark und voller Willenskraft die junge Frauengeneration der Cholas ist. Das kann Mut machen und Inspiration schenken – und genau das brauchen wir alle, wenn wir neue Wege gehen möchten.
Ihnen wünsche ich im Namen vom gesamten Leguan Reisen Team einen kraftvollen selbstbewussten Start ins Jahr 2025!
Ales Gute und beste Gesundheit
Martina Ehrlich