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deathroad bolivia
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Martina Ehrlich

Ab sofort erscheint auf unserer Homepage immer freitags ein neuer Blog-Beitrag zu den unterschiedlichsten Regionen und Themen rund um Lateinamerika. Martina berichtet Aktuelles, Informatives, Skurriles und Spannendes vom Kontinent des Kolibris, erzählt Geschichten vom Reisen bis hin zu praktischen Tipps für die Vorbereitung Ihrer eigenen Reise.

Vom Kontinent des Kolibris 70 – die „Straße des Todes“…

Wer sich mit den spannendsten Straßenverbindungen weltweit beschäftigt, der kommt um Boliviens „Camino a los Yungas“ nicht drum rum.

Gebaut wurde diese Streckenverbindung von La Paz über den La Cumbre Pass bis hinab in die tropischen Yungas zwischen 1931 bis 1936 während des sogenannten Chaco-Krieges. Man hat paraguayische Kriegsgefangene herangezogen zum Bau dieser herausfordernden Strecke durch nur sehr schwer zugängliches und extrem steiles Gebiet. Die als Yungas-Straße bekannte Schotterpiste funktionierte als solche bis Dezember 2007. Sie galt als gefährlichste Straße der Welt und hatte zu Recht den Beinamen „Camino de la Muerte“ – eben „Straße des Todes“.

Wie oft ich als Reiseleiterin und Beifahrerin diese Strecke live erlebt habe, weiß ich nicht mehr ganz genau, aber es waren mehrere zig Male. Damals war ich gemeinsam mit meinem früheren Partner in unserem als Reise-Expeditionsfahrzeug umgebauten LKW regelmäßig in Bolivien unterwegs und die „Straße des Todes“ war Teil unserer Gruppenreise. Aufgrund der Häufigkeit, die wir diese abenteuerliche Strecke überwunden haben, entwickelten wir eine gewisse Gelassenheit und mein Partner eine Art Routine und Ruhe beim Fahren. Wir merkten bald, dass trotz immer wieder vorkommenden Erdrutschen der Boden der Schotterpiste im Grunde fest ist, da er zu großen Teilen einen Felsuntergrund besitzt. Und man kennt irgendwann jede enge Kurve und jede heikle Stelle der Strecke. Dennoch habe ich bis zum heutigen Tag großen Respekt davor, wie Jürgen diese Strecke stets sicher und souverän mit den zwölf Kunden im Passagierraum bewältigt hat!

Wie kann man sich diese Fahrt in der Praxis vorstellen? – Die Strecke beginnt im urbanen La Paz auf etwa 3.600 Metern Höhe und führt zuerst mal über den 4.670 Meter hohen La Cumbre Pass, wo meist Schnee liegt. Und von da an führt die anfangs noch asphaltierte Straße, die später zur holprigen Schotterpiste wird, nur noch abwärts bis in den feuchtwarmen Regenwald der Yungas zum Zielort Coroico auf 1.200 Metern Höhe. Geologisch, klimatisch und von der Pflanzenwelt ist dies eine spektakuläre Fahrt!

Da der tropische Wald seine Feuchtigkeit morgens an die Luft abgibt, gelangt man meist nach Verlassen von La Cumbre rasch in eine dichte Nebelschicht. Wie dick diese ist und wie lange man sozusagen im „Nichts“ unterwegs ist, kann von Tag zu Tag ganz unterschiedlich sein. Und manchmal regnet es auch einfach. Ob es besser ist, zu sehen, wo man da unterwegs ist – oder eher nicht, ist schwer zu sagen. Denn wenn man zum ersten Mal freie Sicht hat, vermengen sich beim Anblick des Straßenverlaufs Faszination mit blankem Unglauben: In sehr engen Kehren windet sich die Piste an der manchmal senkrecht abfallenden Wand wie eine Kugelbahn abwärts, oft ist sie nur einspurig, manchmal trommelt ein kleiner Wasserfall aufs Autodach – und es gibt viel Verkehr! Leitplanken – Fehlanzeige. Um die Stimmung im Fahrzeug nochmals zu verstärken, legten wir entsprechende Hintergrundmusik ein – eine Mischung aus Tropengeräuschen und Dramatik… Neben unserer persönlichen Gelassenheit gab es bei den Kunden zwei unterschiedliche Reaktionen: die einen wurden bei der Fahrt mucksmäuschenstill, die anderen überspielten die Situation mit Humor und viel Reden. Diese Fahrten gehörten zu den spannendsten unserer Reisetätigkeit.

Es gab auf der Strecke zwei klare Regeln, die alle Fahrzeuge ohne Ausnahme beachten mussten: 1. Wer von unten nach oben fährt, hat immer Vorfahrt. 2. Wer von unten nach oben fährt, darf immer entlang der Wand fahren. – Was bedeutet, dass das abfahrende Fahrzeug bei Begegnungen grundsätzlich auf der Seite des Abhangs und damit oft am Rande des Abgrunds fahren muss. Und es muss an den einspurigen Stellen unter Umständen zurücksetzen bis zur nächsten Ausweichstelle. Meine Aufgabe dabei war es, zigmal aus dem LKW zu hüpfen und beim oftmaligen sehr engen Rangieren darauf zu achten, dass wir beim Rückwärtsfahren weder den Abhang hinabstürzten noch beim Passieren des heraufkommenden Fahrzeugs aneinander schrammten, bzw. uns dieses Fahrzeug womöglich einen Stoß in die Tiefe versetzte… Zweites war bei unserer Fahrzeuggröße eher unwahrscheinlich, hingegen liegen tief unten genug kleinere Minibusse, die solch ein Schicksal leider erleben mussten. In Bolivien war damals klar, dass ca. einmal im Monat ein Auto mitsamt aller Ware und allen Insassen in den Abgrund stürzt. Kein Wunder, dass die Fahrer – auch wir – oben in La Cumbre der Mutter Erde, Pachamama, Wasser opferten und das Auto mindestens einmal im Jahr vom Schamanen segnen ließen. Und dass sie auf dem Weg von La Paz auf den Cumbre-Pass alle streunenden Hunde fütterten, da diese als die wiedergeborenen Seelen der abgestürzten Yungas-Fahrer gelten… Die Autos, die da in regem Verkehr hoch und runterfuhren, waren oftmals alt, hatten abgefahrene Reifen, nicht zu hundert Prozent funktionierende Bremsen, waren völlig überladen und gefährlich schwankend. Von La Paz bringt man Baumaterial, Lebensmittel und Menschen ins Tiefland, zurück Tropenholz und Tropenfrüchte. Auf den schwerbeladenen LKWs saßen obenauf oft Bolivianer, mit denen sich der Fahrer noch ein bisschen Geld hinzuverdiente. Die Menschen auf dem Haufen Bananen oder Orangen wurden ständig hin und her geschüttelt, unter den Wasserfällen wurden sie pitschnass und oben am Pass froren sie wie verrückt.

Nun wieder zurück zu unseren Fahrten: Das Runterfahren war meist das größere Abenteuer. Beim Zurückstoßen in die nächste freie (! – denn es kam ja ständig Verkehr nach!) Ausweichstelle mussten wir rückwärts einfahren und es ging meist recht knapp her. Dies bedeutete, dass ich genau darauf achten musste, wann der äußere Hinterreifen grade noch so auf der Piste steht, um dann von dort aus vorwärts in die Lücke rangieren zu können. Der LKW-Aufbau unseres Fahrzeugs ragte dann schon öfter mal über den Straßenrand hinaus und Kunden auf dem entsprechenden Sitzplatz hatten damit den Blick in den freien Abgrund. Irgendwie ist das immer alles gut gegangen, aber im Nachhinein denke ich, wir hatten wirklich Gottvertrauen oder Vertrauen zu den bolivianischen Geistern. Wie ich gerade diese Zeilen so schreibe, merke ich, dass ich feuchte Hände bekomme. Ich glaube, ich hätte die Nerven und die Gutgläubigkeit heute nicht mehr…

Es gab eine sehr lange Passage ohne Einsicht von unten oder oben. Bei uns hätte man hier eine Ampel aufgestellt. In Bolivien hatte man Glück, wenn die Ampel besetzt war – ja besetzt. Denn es war eine Lebend-Ampel: ein Mann hatte an einer Stelle etwa in der Mitte des Pistenabschnittes, der von beiden Seiten einzusehen war, eine mit rotem Plastik und eine mit grünem Plastik bespannte gebogene Rute, die er je nachdem nach oben hielt. So wusste man, ob man warten muss oder fahren kann. Klar gab man dem Mann beim Vorbeifahren ein paar Münzen… Und wenn er nicht dastand, musste man sich auf sein Glück verlassen.

Das Hochfahren war meist besser, weil man ja nicht zurücksetzen musste und an der Hangseite fahren konnte. Dennoch musste man aufpassen, dass man aufgrund des vom Regen ausgewaschenen Grabens nicht auf den Hang kippte, wenn es sehr eng zuging. Hinzu kommt, dass wir eben keine Einheimischen waren und sich die „Bolis“ manchmal richtig aufspielten. Keiner ging da auch nur einen halben Meter zurück, wenn er sich „im Recht“ fühlte. Man brauchte echt Nerven für diese Fahrten. Und wenn es irgendwo auf der Strecke einen Unfall gab, brauchte man eine ewige Geduld. Man stelle sich vor, wie schnell hier von beiden Seiten eine lange Fahrzeugschlange entstanden war und wie lange es unter Umständen dauern konnte, bis dem Unfallwagen geholfen werden konnte und sich das Chaos wieder entwirrt hatte. Ich werde nie vergessen, wie nach einer Abfahrt gleich nach Ankunft in unserer Unterkunft ein Kunde Jürgen direkt einen 50-Euro-Schein in die Hand drückte – als Dankeschön für die Leistung, aus Erleichterung und wohl auch als Vorschuss fürs gute Wiederhochbringen…

Eigentlich war diese Straße untragbar bei so viel täglichem Verkehr. Jahrelang baute Bolivien an einer weniger gefährlichen Alternativstrecke, die dann schließlich 2007 als moderne, zweispurige Verbindung mit insgesamt 54 Brücken eröffnet wurde. Die „alte Yungas-Straße“ wird heute vor allem für den Abenteuer-Tourismus genutzt, adrenalinsuchende Mountainbiker nutzen die Route zum Downhill-Fahren.

Kommen Sie gut und sicher durch die nächste Woche

Martina Ehrlich

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