El Niño und La Niña sind immer wieder in aller Munde – und doch weiß man meist nicht so genau, um was es da eigentlich im Detail so geht…
Das Ganze fängt mit einem Phänomen bei den peruanischen Fischern an, denn seit dem frühen 19. Jahrhundert haben diese immer wieder von einem exorbitanten Einbruch ihrer Fangzahlen berichtet bei ungewöhnlich warmen Wassertemperaturen. Da diese außergewöhnliche Situation meist im Dezember auftritt, gab man dem Phänomen den Namen „El Niño“, was so viel wie „das Christkind“ heißt, da dieses bekanntermaßen ebenfalls immer im Dezember wiederkehrt… Nun hatte das Kind also einen Namen – aber wie lässt es sich erklären?
Im „Normalzustand der allgemeinen Wetterlage“ wehen die Passatwinde nördlich des Äquators aus Nordosten und südlich des Äquators aus Südosten. Diese Winde sorgen unter anderem dafür, dass vor den amerikanischen Küsten von Nordamerika bis Peru kaltes, nährstoffreiches Wasser von der Tiefe an die Oberfläche transportiert wird und dort für gute Bedingungen für Fischwachstum sorgt. Am Westende des Pazifiks an den asiatischen Küsten sammelt sich dagegen warmes Wasser an, was dafür sorgt, dass der tropische Westpazifik um einige Grad wärmer ist als der Ostpazifik. Über dem warmen Wasser im maritimen Kontinent kommt es zu aufsteigenden Luftbewegungen, Wolkenbildung und kräftigen Niederschlägen. Der zentrale und östliche tropische Pazifik ist dagegen eher niederschlagsarm.
Der Südostpassat treibt also die Wassermassen des Pazifiks ungefähr auf Höhe des Äquators nach Westen. Vor Australien und Neuseeland wird ein Teil davon nach Süden und dann nach Osten abgelenkt und strömt zurück an die südamerikanische Küste. Beim „Aufprall“ auf die steilen Wände des Peru- und Atacama-Grabens wird aus der Tiefe kaltes, nährstoffreiches Wasser nach oben geschwemmt und dann an der Küste entlang nach Norden gedrückt. Etwa auf der Grenzhöhe zwischen Ecuador und Peru im Golf von Guayaquil vereinigt sich der kalte, aus dem antarktischen Süden kommende Humboldtstrom mit dem sogenannten Süd-Äquatorial-Strom von Norden. Beide Ströme werden von der Küste abgelenkt und driften nach Westen, wo wir bei den Galápagos Inseln das Phänomen antreffen, dass sich dort neben tropischen Fischen auch Pinguine tummeln und sich etliche Tierarten aus den unterschiedlichen Breitengraden ansiedeln konnten.
Während der Sommerperiode von November bis April erwärmt die Sonne die Luft an der pazifischen Küste Chiles und Perus soweit, dass sich Wolken bilden und in den steil aufragenden Bergen abregnen können. Während der Winterperiode von Mai bis Oktober dominiert hingegen der kalte Humboldtstrom aus dem Süden und verhindert, dass sich die Luft über dem schmalen Küstenstreifen stark erwärmen kann. Es herrschen generell kühlere Temperaturen und die Luftfeuchtigkeit, die vom Meer an Land getragen wird, steigt mindestens bis auf 500 Meter über dem Meeresspiegel. Dort bildet sich durch die Einstrahlung der Sonne eine wärmere Luftschicht, die bewirkt, dass die Wolken weder weiter steigen noch sich abregnen können. Das heißt, sie wirkt wie eine Glocke, was man Inversionswetterlage nennt. Dies hat zur Folge, dass im Winter ein feiner Nebel über der gesamten Küstenregion liegt. Dieser wird in Peru „Garúa“ genannt. Die Folge ist, dass es trotz hoher und kühler Luftfeuchtigkeit so gut wie nie regnet und sich eine öde Wüstenlandschaft zeigt, die wir in Chile als Atacamawüste kennen.
Was aber nun ist ein Niño-Jahr?
In unregelmäßigen Abständen (im Schnitt alle vier Jahre) verändert sich dieses System dramatisch: die Passatwinde lassen nach oder hören vollständig auf zu wehen. Dadurch werden keine kalten Tiefenwasser mehr an die Oberfläche vor der amerikanischen Küste gebracht – das Phänomen, welches die peruanischen Fischer beobachteten. Gleichzeitig beginnt das im Westen angestaute Wasser ostwärts zu fließen. In Folge wird die Meeresoberfläche im zentralen und östlichen Pazifik ungewöhnlich warm und es kommt zu Niederschlägen, während diese im Gegenzug im Westen ausbleiben. Für die Wüstenregionen an der pazifischen Küste in Nordchile sowie Peru bedeutet dies, dass sich die Atmosphäre mit mehr Luftfeuchtigkeit sättigen kann und tropische Wolkenbrüche in der ansonsten stocktrockenen Wüste mit zum Teil verheerenden Auswirkungen niederprasseln. Dabei gibt es dann oft Erdrutsche, Brücken und Straßen werden weggeschwemmt usw.
Bei La Niña-Ereignissen passiert genau das Umgekehrte, d.h. es handelt sich um sehr verstärkte Normalbedingungen. Dieses Phänomen wurde als Gegenstück mit La Niña bezeichnet.
Für die Wissenschaft wie auch für die Menschheit insgesamt haben die Phänomene von El Niño wie von La Niña eine große Bedeutung, denn die Auswirkungen sind fast überall auf der Erde spürbar. Je näher Menschen am äquatorialen Pazifik leben, desto stärker sind sie in direkter Weise von den wiederkehrenden Phänomenen betroffen. So zeichnen sich zum Beispiel El Niño-Jahre meist durch extreme Dürre in Australien aus. Doch auch in vielen anderen Regionen unserer Erde kann das Wetter während der Phänomene von El Niño oder La Niña verrücktspielen. Es gibt Dürren, Überflutungen, Hitzewellen und Kälteperioden in allen Ecken unserer Erde.
Für Wissenschaftler gibt es immer noch viele offenen Fragen im Zusammenhang mit der Unregelmäßigkeit und den verschiedenen Auswirkungen. Zumindest kann man aktuell einen El Niño ein paar Monate vorher ankündigen und somit den Ländern und Ihren Menschen etwas Zeit zum Reagieren geben.
Persönlich habe ich schon viele dieser „verrückten Niño-Jahre“ in Südamerika erlebt, wenn z.B. im Pazifik vor der Küste die Temperaturen von den üblichen 18 Grad Celsius auf 29 Grad Celsius ansteigen. Bei den Bootstouren sieht man dann sehr wenige sowie sogar verendete Seevögel und Robben – sie sind schlicht verhungert, weil ihnen ihre Nahrung aus dem kalten Humboldtstrom fehlt. Oder Niederschläge hoch oben in den Anden in Form von Schnee mitten im Juni, der absoluten Trockenzeit dieser Region, die Pisten unpassierbar machen und Kleinkamele verenden lassen, weil sie durch den gefrorenen Schnee am Boden festfrieren und ebenfalls verhungern. Für die betroffenen Menschen und Tiere sind die Wetterphänomene El Niño und La Niña absolut kein Spaß und manchmal lebensbedrohlich. Da nutzen auch die niedlichen Namen „Das Christkind“ und „Das Mädchen“ nichts…
Ihnen wünsche ich eine schöne Sommerwoche
Martina Ehrlich