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Martina Ehrlich

Ab sofort erscheint auf unserer Homepage immer freitags ein neuer Blog-Beitrag zu den unterschiedlichsten Regionen und Themen rund um Lateinamerika. Martina berichtet Aktuelles, Informatives, Skurriles und Spannendes vom Kontinent des Kolibris, erzählt Geschichten vom Reisen bis hin zu praktischen Tipps für die Vorbereitung Ihrer eigenen Reise.

Vom Kontinent des Kolibris 49 – FIESTA YAWAR: wenn Stier und Kondor kämpfen

Kondore werden von der indigenen Andenbevölkerung verehrt und sie sind Wappentier in vier Andenländern. Ihr majestätischer Höhenflug lässt sie bis über die höchsten Berggipfel – die heiligen Apus – schweben und stellen damit eine Verbindung der Menschen zum Göttlichen her.

Stiere wurden wie Pferde, Esel und Kühe von den spanischen Eroberern aus Europa nach Lateinamerika mitgebracht. Damit verkörpern sie für die Urbevölkerung der Anden bis in die Gegenwart die eigene Niederlage, die Unterdrückung und die Sklaverei durch die ankommenden Neulinge aus Europa. Auf verschiedenen Festen der Indigena kann man sehen, wie diese versuchen, mit dieser für sie traurigen Entwicklung ihrer Völkergeschichte zurechtzukommen, indem sie diese verballhornen und sich über die Eroberer lustig machen. Da gibt es Kostümierungen, Feste, Legenden und Theateraufführungen, die sich mit diesem Thema beschäftigen – und die Europäer kommen dabei nicht gut weg. Es ist wohl der tragische Versuch, sich irgendwie die eigene Volkswürde zu erhalten.

In etlichen Regionen der Anden Ecuadors, Perus und Boliviens wird alljährlich das Yawar-Fest gefeiert. Und dies meist in kleinen verarmten Bauerngemeinden, in denen alle Widersprüche, die die zersplitterte Kultur und Wirtschaft kennzeichnen, im Lebensalltag der Menschen deutlich zutage treten. Weit mehr als fünfhundert Jahre nach der Ankunft von Kolumbus mit den spanischen Eroberern leben die Einheimischen der Anden noch immer unter der Kontrolle von Grundbesitzern – in der Regel Mestizen, also gemischtblütigen Nachfahren der Spanier.

Das Yawar Fest wird auch als Blutfest bezeichnet. Es wurde zum ersten Mal am 15. Juli 1560 – dem christlichen Fest des Schutzpatrons Santiago – in Cuzco, der einstigen Inka-Hauptstadt, gefeiert. Der Brauch breitete sich umgehend Richtung Norden hin aus und erfreute sich schnell großer Beliebtheit. Von Bischof Martínez de Compañón existiert ein Aquarell aus dem 18. Jahrhundert, welches die Ausbreitung nach Norden belegt und im 19. Jahrhundert sind es vor allem die Bilder von Pancho Fierro, die die Beliebtheit dieses neuen Festes in vielen Regionen der Anden belegen.

In Wesentlichen handelt es sich um eine neue Art des aus Spanien stammenden Stierkampfes. Und es ist leider nicht weniger brutal.

Dafür wird ein freilebender Kondor gefangen. Die Indigena haben hier zwei zielführende Methoden entwickelt. Entweder sie legen einen großen Tierkadaver aus, meist von einem Pferd, Muli oder Esel. Der Kadaver wird gut sichtbar im Hochland an einer Stelle drapiert, wo Kondore oft nach Nahrung suchen. Bei großen Kadavern lassen die Kondore nicht lange auf sich warten und fressen sich übersatt. Infolge wiegen sie viel und haben große Schwierigkeiten, sich von der Ebene wieder in die Lüfte zu heben. Dies nutzen die Männer und fangen – geschützt durch dicke Ponchos – einen der satten Vögel ein. Eine weitere Methode ist es, ein Loch auszuheben, einen Tierkadaver hineinzulegen und das Loch dann mit ein paar Zweigen und Fleischresten zu tarnen. Sobald ein Kondor auftaucht und sich über das Aas hermacht, wird er ergriffen und seine Füße werden gefesselt. Beide Methoden sind nicht ungefährlich, denn Kondore sind mit einer Flügelspannweite von bis zu dreieinhalb Metern und ca. 15 Kilogramm Gewicht sehr groß und besitzen starke Krallen und einen scharfen Schnabel.

Der Kondor wird anschließend ins Dorf gebracht und durch verschiedene Zeremonien verehrt. Dem mächtigen Vogel wird dabei auch Alkohol verabreicht und nach kurzer Zeit ist er betrunken. Am Tag des Yawar Festes wird auf dem Hauptplatz des Dorfes provisorisch ein runder Kampfring aufgebaut. Das gesamte Dorf fiebert mit und nimmt an dem Großereignis teil. Für den anstehenden Kampf wird der Kondor mit seinen Füßen mithilfe von Seilen auf den Rücken eines Stiers gebunden und die beiden Tiere werden so in den Kampfring eingelassen.

Beide Tiere befinden sich dabei in einer sehr misslichen Lage. Der Kondor versucht sich zu befreien und hackt deshalb mit seinem Schnabel immer wieder auf den Rücken des Stiers ein. Der Stier versucht seinerseits, sich vom Kondor zu befreien und unternimmt alles Erdenkliche dafür. Die Verletzungen des Stiers lassen Blut aus den Wunden rinnen – deshalb der Zweitname des Festes. Der Kampf der beiden Kontrahenten soll nach 15 Minuten abgebrochen werden. Es gilt als ungeschriebenes Gesetz, dass der Stier nicht sterben darf. Dennoch kann es bei beiden Tieren zu übelsten Verletzungen kommen.

Am nächsten Tag wird der Kondor – nachdem er mit Meerschweinchen und Alkohol abgefüttert sowie mit Geldscheinen geschmückt wurde – wieder feierlich in die Freiheit entlassen. Schafft der Kondor dann endlich den Abflug, wird dies beim Cacharpari Fest mit Livemusik, Böllerschüssen und einem Feuerwerk gefeiert. „El Cóndor pasa“ und das Fest ist vorbei.

Was in vielen unserer Augen sicherlich brutal und vom Aspekt des Tierschutzes als unverantwortlich angesehen wird, ist für das arme Bauernvolk der Anden eine wichtige symbolische Zeremonie. (Natürlich ist das Einfangen und Töten der majestätischen Kondore gesetzlich verboten und kann offiziell in Peru mit bis zu acht Jahren Gefängnis bestraft werden. Da am Yawar Fest aber auch Polizisten und Richter teilnehmen, lässt sich leicht erahnen, dass kein Urteil für die Tötung eines Andenkondors ausgesprochen wird.) Der Kondor – als Vertreter der Indigena und mit dem Segen ihrer Götter versehen – beherrscht sozusagen die Konquistadoren in Form des Stieres, der den gemeinen Hackangriffen des Kondors nicht entfliehen kann. Man entlässt den verletzten Stier und der Kondor schwebt nach seiner Freilassung erhaben über die höchsten Gipfel der Anden hinweg. Man könnte es so deuten, dass – egal wie viel Unterdrückung das indigene Volk schon erlitten hat und wie gering dessen Stimme im Heute gehört wird – die innere Freiheit, die kulturelle Würde und den uralten Glauben lässt es sich nicht nehmen. Und aus diesem Grund wird das Yawar Fest wohl auch weiter existieren, egal, wer es verbieten mag. Es gibt vieles in den Flanken des riesigen Andengebirges, was die Menschen, die dort schon seit Urzeiten leben, zusammenhält. Ob wir das nun gut finden oder nicht.

Es gibt einen englischsprachigen Roman von José Maria Arguedas mit dem Titel “Yawar Fiesta“ von 1941, welches den Gedankenkosmos dieses indigenen Festes näher beleuchtet. Absurd daran ist, dass früher vermutlich keine Kondore für dieses Fest missbraucht wurden. Auch im Buch von Arguedas kommt der Andenkondor praktisch nicht vor, nur das Buchcover ziert ein Kondor. Und nach Erscheinen des Buches begann man in den Dörfern mit der blutigen Tradition der Kondore auf den Steirrücken beim Feiern des Yawar Festes. Mittlerweile finden jedes Jahr schätzungsweise an 55 Orten Yawar Feste statt.

„Es ist ziemlich konfus, einerseits sagen sie, sie lieben und verehren den Kondor, und andererseits quälen sie ihn so! Die Yawar Fiestas stehen einander in Konkurrenz, jeder will das beste Fest machen und von wegen nur fünf Minuten! Manche Vögel werden mehreren Stieren nacheinander aufgebunden, der Kampf verletzt viele und am schlimmsten ist es, wenn ein Kondor an andere Feste weitervermietet wird!“peruanische Biologin Karol Mejía

Das abgebildete Wandbild stammt vom argentinischen Street-Art-Künstler Franco Fasoli.

Bis nächste Woche

Martina Ehrlich

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